Dienstag, 5. Juli 2011

Darf die nicht sorgeberechtigte Mutter Umgang mit Ihrem Kind haben, welches in einer Pflegefamilie lebt?


Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welches Recht eine Mutter auf Umgang mit ihrem Kind hat, wenn sie nicht sorgeberechtigt ist und das Kind in einer Pflegefamilie lebt. Das Gericht hat den fall zum Anlass genommen, grundlegend zu dieser Frage auszuführen und bereits existierende Rechtsprechung zusammenzufassen.

Die klagende Mutter war schwer drogenabhängig und deshalb aufgrund ergangener Entscheidungen des Familiengerichtes seit frühster Kindheit des Kindes nicht mehr zur Sorge berechtigt, da sie es vernachlässigt hatte und sich nur ihrer Drogensucht nachging. Der Vater, mit dem sie nicht verheiratet war, war ebenfalls drogensüchtig und deshalb in Strafhaft, im Übrigen kümmerte er sich wohl nicht um das Kind.

Sorgeberechtigt war das Jugendamt, welches das Kind zur Vollpflege in einer Familie untergebracht hatte.

Nachdem die Mutter ihren Zustand gebessert hatte und als „clean“ gelten konnte, beanspruchte sie nunmehr regelmäßigen Umgang mit ihrem Kind. Das Jugendamt trat diesem begehren entgegen. Zwar habe es bereits einen ersten Kontakt zwischen dem Kind und den Pflegeeltern einerseits und der Mutter andererseits gegeben; dieser habe aber gezeigt, dass das Kind keinerlei Erinnerung an seine Mutter hatte. Es sei in der Pflegefamilie emotional verwurzelt, wachse dort mit Pflegeeltern, -geschwistern und –großeltern altersgerecht auf und müsse erst sehr langsam an einen Umgang mit der Mutter herangeführt werden.

Die Einzelheiten zum Sachverhalt ergeben sich aus der Entscheidung, welche im Volltext über den unten genanten Link abrufbar ist.

Für viele Betroffene, Eltern wie Pflegeltern, ist aber wichtig zu wissen, wie die Rechtsprechung grundsätzlich die Befugnisse der Einzelnen sieht:

„Regelungsgrundlage für den begehrten Umgangskontakt ist § 1684 BGB, wonach sowohl das Kind selbst einen Anspruch auf Umgang mit seiner leiblichen Mutter als auch umgekehrt diese mit ihrem Kind hat. Dies gilt auch dann, wenn den Eltern oder einem Elternteil das Sorgerecht entzogen worden ist und der Vormund das Kind in eine Dauerpflegefamilie gegeben hat Dieses Recht darf nur eingeschränkt werden, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit ausschließt oder auch nur einschränkt, darf nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Die Einschränkung oder sogar ein Ausschluss kommt also nur als äußerste Maßnahme zur Abwendung einer konkreten, gegenwärtigen Gefährdung der körperlichen und geistig-seelischen Entwicklung des Kindes in Betracht. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Ausübung des Umgangsrechtes in der Regel zum Wohl des Kindes gehört. Wie der Senat wiederholt […] ausgeführt hat, darf die Inpflegenahme von Kindern nicht schematisch zu einem Kontaktabbruch mit den leiblichen Eltern führen. Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer Inpflegenahme von Kindern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zu beenden ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der Inpflegenahme müssen mit dem anzustrebenden Ziele der Zusammenführung von leiblichen Eltern mit ihren Kindern im Einklang stehen […]. Hieraus folgt zugleich, dass den Vormund mit Beginn der Inpflegemaßnahme die Verpflichtung trifft, stets zu prüfen, ob eine Familienzusammenführung möglich ist und durch welche Maßnahmen diese erleichtert und gefördert werden kann. Einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ist entgegenzuwirken. Nur im Interesse der Wahrung der Kindesbelange ist es dem Staat als Wächter über das Kindeswohl gestattet, derartig schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht gemäß Artikel 6 II Satz 1 GG vorzunehmen.“

Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.01.2011, II-8 UF 133/10


Montag, 6. Juni 2011

LSG: Alleinstehenden Beziehern von Hartz IV stehen 50 qm Wohnfläche zu


Die Bemessung der Kosten der Unterkunft wird seit Langem von Behörden und Gerichten nach der sogenannten Produkttheorie errechnet: angemessene Wohnfläche multipliziert mit dem angemessenen Mietpreis pro Quadratmeter. Was rechtswissenschaftlich hochtrabend klingt, ist die allgemein übliche Errechnung einer Wohnungsmiete.

Bei der Frage, welche Wohnfläche angemessen war und ist, ist die Rechtsprechung sehr schnell auf die gesetzlichen Regelungen des sozialen Mietwohnungsbaus als Anknüpfungspunkt gekommen. Danach war eine Wohnfläche von 45 m² angemessen für eine alleinstehende Person; für jede weitere Person wurden 15 m² hinzugerechnet.

Während es bei der letztgenannten Regel wohl bleibt, ist die Größe für eine alleinstehende Person ab 2010 aber mit 50 m² zu bemessen. Das hat aktuell das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 16.05.2011 festgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.05.2011
L 19 AS 2202/10 -


Mittwoch, 11. Mai 2011

BSG: Schulkosten werden nicht als Zuschuss übernommen


Ganz aktuell hat das Bundessozialgericht erneut die Rechtsfrage entschieden, ob Schulkosten, also Aufwendungen für beispielweise Schulbücher, Zeichenmaterialien, Kopiekosten und Ähnliches, im Rahmen von Sozialhilfeleistungen (Hartz IV, SGB II, SGB XII) als zusätzliche Leistungen gewährt werden können.

In der Entscheidung vom gestrigen Tage (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 11/10 R), zu der die Pressemitteilung soeben veröffentlicht wurde, vertritt das Bundessozialgericht die Auffassung, dass Aufwendungen für Schulkosten in dem Regelsatz bereits enthalten sind und nicht neben den Regelsätzen verlangt werden könnten. Sie können zwar als Darlehen gewährt werden, welches aber zurückgezahlt werden muss.

Erläuternd sei darauf hingewiesen, dass hiervon Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten auszunehmen sind, weil diesbezüglich eine besondere gesetzliche Regelung existiert.

Das Bundessozialgericht nimmt in seiner Entscheidung ausdrücklich Bezug auf seine vorausgehende Rechtsprechung, explizit das Urteil vom 19.08.2010, B 14 AS 47/09 R. Bereits dort hat das Gericht entschieden, dass die Kostenübernahme für Schulbücher nicht verlangt werden könne.

Das Bundessozialgericht begründet seine Entscheidung unter Prüfung verschiedenster möglicher Anspruchsgrundlagen damit, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Mehrbedarfe – etwa für Klassenfahrten, alleinerziehende Eltern, aufwendigere Ernährung etc. – geregelt habe, nicht aber für sonstigen Schulbedarf. Ohne ausdrückliche Regelung sei ein solcher Anspruch dann auch nicht existent. Herzuleiten aus allgemeineren gesetzlichen Vorschriften oder gar aus der Verfassung selbst sei er auch nicht. Immerhin habe der Gesetzgeber mit Einführung des SGB II die Regelbedarfe erhöht, sodass sie fast alle Mehrbedarfe mit umfassen sollten, also auch denjenigen der Schulkosten.

Diese Rechtsprechung berücksichtigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2011, die die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze für Kinder festgestellt hat, und der Auslöser war für die politische Diskussion, in der schließlich die aktuell angebotenen Bildungsgutscheine für „Hartz-IV-Kinder“ beschlossen worden sind. Das BSG nimmt sowohl in der Entscheidung vom August 2010 als auch in der jüngsten Entscheidung Bezug auf die BVerfG-Entscheidung: Es gebe auch nach dem BVerfG keinen Anspruch auf Mehrbedarfe oder Zusatzleistungen für die Vergangenheit. Zwar müsse nach dem BVerfG für die Zukunft eine Neuregelung her, nicht aber für die Vergangenheit.

Was ist von dieser Entscheidung zu halten? Sie entspricht wohl der gesetzlichen Lage und ist nicht zu beanstanden. Hinzuweisen bleibt nochmals darauf, dass die Entscheidung die Vergangenheit, hier das Schuljahr 2006/7 betrifft. Wegen der veränderten gesetzlichen Lage für die Zukunft bleibt abzuwarten, inwieweit die Umsetzung der neuen juristischen Realität die Lebenswirklichkeit der Bedürftigen ändert.

Aktuelle Pressemitteilung:

Urteil des BSG von 08/2010:

Urteil des BVerfG von 02/2010:

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Freitag, 29. April 2011

Nachbarschaftshilfe: Wie-Beschäftigte in der gesetzlichen Unfallversicherung

Das LSG München hat jüngst entschieden, dass ein Nachbar, der Hilfe leistet, welche über alltägliche Gefälligkeiten hinausgehen, in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für sogenannte "Wie-Beschäftigte" fallen.

Ein Rentner hatte ein Gerüst genutzt, um in Nachbarschaftshilfe den Giebel der Doppelhaushälfte seines Nachbarn zu streichen. Für Arbeiten dieser Art war das Gerüst nicht geeignet, es stürzte um und der Rentner erlitt schwere Verletzungen, an denen er starb.

Seine Witwe verlangte von der Berufsgenossenschaft Rente als Hinterbliebene. Ihr Ehemann sei für den Nachbarn "wie ein Beschäftigter" tätig gewesen und habe damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Die Berufsgenossenschaft lehnte ab. Der Verstorbene habe auch in seinem eigenen Interesse gehandelt, weil der das Doppelhaus gestrichen habe, in dem er selbst – in der anderen Hälfte – wohne. Das einheitliche Erscheinungsbild der Doppelhäuser sei habe im Vordergrund gestanden. Außerdem habe nur eine alltägliche Gefälligkeit vorgelegen.

Das Landessozialgericht hat der Witwe als Klägerin recht gegeben.

Es ist der Auffassung, dass unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur ein Beschäftigter steht, sondern auch wer beschäftigungsähnlich handelt, § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung. Dann sei das Haftungsrisiko dem nutznießenden Unternehmen zuzurechnen. Dies wäre der Fall gewesen, weil der Verunfallte mit seinem Fachkönnen und entsprechend dem Willen des Nachbarn umfangreichere Malerarbeiten von wirtschaftlichem Wert erbracht hatte.

Der Schutzbereich der Gesetzlichen Unfallversicherung erfasse also auch im Rahmen der Nachbarschaftshilfe Arbeiten von Wert. Das setze voraus, dass die Arbeiten über alltägliche Gefälligkeiten hinausgehen. Die Kehrseite: Liege ein gesetzlich versicherter Unfall vor, sind weitere Haftungsansprüche gegen den Auftraggeber ausgeschlossen. Von ihm Schadensersatz und Schmerzensgeld zu fordern sei dann nicht möglich.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.03.2011, Aktenzeichen L 3 U 255/10

Freitag, 11. März 2011

Keine Lottoscheine für Hartz IV-Empfänger


Das Landgericht Köln hat es der Lottogesellschaft Westlotto aus Münster per einstweiliger Verfügung untersagt, Empfängern von Arbeitslosengeld II die Teilnahme an öffentlichen Glücksspielen zu ermöglichen.

Das Gericht erachtete die beantragte einstweilige Verfügung für begründet, da es keine wirksame Begrenzung des Wettspiels gebe, welche zur Vermeidung von Spielsucht geboten sei. Also dürften in Lottoannahmestellen keine Lose oder sonstige Teilnahmemöglichkeiten für Lotteriespiele mehr angeboten werden, wenn die Spieleinsätze in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stünden. Dies sei nach Auffassung des Gerichts insbesondere bei Hartz IV-Empfängern der Fall.

Für den Fall, dass eine Annahmestelle nun einen Lottoschein eines Hartz IV-Empfängers entgegen nimmt, droht dem Unternehmen laut Presseberichten nun in jedem einzelnen Fall ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro.

Die Frage, ob und wie sich diese Entscheidung kontrollieren lässt, bleibt indes offen. Gibt es bald die Pflicht, einen Einkommensbescheid mit dem Lottoschein vorzuzeigen? Müssen Lottospieler zuvor an Eides Statt versichern, nicht mehr Geld für den Lottoschein auszugeben, als sie haben? Was ist am Monatsende, wenn bei vielen das Geld verbraucht ist? Dürfen dann auch „Normalverdiener“ nicht einmal mehr ein Rubbellos erstehen?

Diese Entscheidung dürfte eher in die Kategorie „Entscheidungen, die die Welt nicht braucht“ fallen als als ernst zu nehmende Rechtsprechung angesehen werden zu können.

Landgericht Köln, Beschluss vom 09.03.2011,  81 O 18/11


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Freitag, 25. Februar 2011

BSG: Ein Fernsehgerät gehört nicht zur Erstausstattung einer Wohnung


Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte sind nach den geltenden Vorschriften des SGB II nicht vom Hilfebedürftigen über dessen Regelleistungen zu erbringen, sondern zusätzlich zu diesen vom jeweiligen Leistungsträger zu gewähren.

Soweit, so gut! Ein zuvor Obdachloser beispielsweise hat also Anspruch auf Möbel, Waschmaschine usw., wenn er eine Wohnung erstmalig bezieht. Zählt ein Fernsehgerät ebenfalls dazu? Immerhin dürfte sich wohl in jeder deutschen Wohnung ein TV-Gerät befinden. 

Das Bundessozialgericht sieht das nicht so, wie aus der Pressemitteilung zu dem am 24.02.2011 gesprochenen Urteil folgt.

Der beklagte Leistungsträger sei nicht verpflichtet, als Erstausstattung für die Wohnung auch Leistungen für ein Fernsehgerät zu erbringen. Zur Erstausstattung einer Wohnung gehörten nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wohnraumbezogene Gegenstände, die für eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen erforderlich seien. Hierzu zähle ein Fernsehgerät nicht. Es sei weder ein Einrichtungsgegenstand noch ein Haushaltsgerät. Dass ein Fernsehgerät zum täglichen Leben gehöre und etwa 95 % der Bevölkerung ein entsprechendes Gerät hätten, führe zu keiner anderen Beurteilung. Freizeit, Informationsbedarf, Kommunikation – all das müsse aus dem Regelbedarf bestritten werden.

Da ein TV-Gerät aber deutlich teurer ist als beispielsweise eine Kinokarte oder eine Zeitschrift, ja augenscheinlich neu ohnehin mehr kostet, als der Regelsatz ausmacht und auch gebraucht einen großen Teil dessen verschlingen würde, besteht nur die Möglichkeit, die Anschaffungskosten als Darlehen vom Leistungsträger zu erhalten. Auf eine entsprechende Vorschrift hat das BSG in seiner Entscheidung ausdrücklich verwiesen.

Urteil vom 24.02.2011, Aktenzeichen B 14 AS 75/10 R

Mittwoch, 16. Februar 2011

Einmal Chefarztgattin – immer Chefarztgattin? Wie viel Unterhalt bekommt die erste, wie viel die zweite Ehefrau?


Das ist landläufig bekannt: Wer sich scheiden lässt, kommt um den Unterhalt nicht herum. Meistens zahlt der Mann und die Frau erhält. Doch wie hoch ist der Unterhalt unter Eheleuten? Diese Frage ist seit Langem so klar wie unklar: er hängt von den ehelichen Lebensverhältnissen ab, wird also nicht pauschal nach Tabellen wie beim Kindesunterhalt berechnet. Das Einkommen der einzelnen Geschiedenen wurde – vereinfacht gesagt – addiert und dann durch zwei geteilt. Das jeweilige Einkommen wurde auf den so ermittelten Unterhaltsbedarf angerechnet. Bis zum 31.12.2007 wurden die ehelichen Lebensverhältnisse für den Zeitpunkt der Scheidung ermittelt. Wer als Chefarztgattin geschieden wurde, konnte praktisch den Rest seiner Tage Unterhalt als Chefarztgattin erhalten. Neben vielen betroffenen Männern fand das dann auch der Gesetzgeber ungerecht und erneuerte mit Wirkung zum 1.1.2008 das Unterhaltsrecht. Nachehelicher Unterhalt lässt sich nun stärker zeitlich befristen und der Höhe nach reduzieren, alles unter dem Gesichtspunkt, dass der geschiedene Ehepartner grundsätzlich für sich selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss. Des Weiteren ist die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten für den Fall, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, ihnen allen Unterhalt zu leisten (sogenannter Mangelfall), neu festgelegt worden: Während den minderjährigen Kindern der erste Rang zugewiesen ist, sind geschiedene und neue Ehegatten im Rang grundsätzlich gleichgestellt. Chefarztgattin ade!

Diese neue Gesetzeslage hat den Bundesgerichtshof veranlasst, in einem Grundsatzurteil festzustellen, wie viel Unterhalt ein geschiedener Ehegatte verlangen kann, wenn ein neuer Ehegatte vorhanden ist. Mit Urteil vom 30. Juli 2008 hat er erstmals eine Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die Bemessung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten einbezogen und geurteilt, dass der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten zu ermitteln sei, indem seine Einkünfte ebenso wie diejenigen des Unterhaltspflichtigen und dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und durch drei geteilt würden (sogenannte Dreiteilungsmethode). In einer Kontrollrechnung sei anschließend sicherzustellen, dass der geschiedene Ehegatte höchstens den Unterhalt erhalte, der sich ergäbe, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erneut geheiratet hätte. Immerhin seien der alte und der neue Ehegatte gleichrangig; zudem zeigten die Regelungen zur Befristung und Höhenbeschränkung des nachehelichen Unterhaltes, dass sich die ehelichen Lebensverhältnisse nach der Scheidung zulasten des Geschiedenen durchaus ändern könnten.

Damit ergab sich die Situation, dass bei der Ermittlung der Höhe des Geschiedenenunterhaltes vor einer Wiederheirat die Einkünfte der Geschiedenen durch zwei, nach der Wiederheirat aber durch drei geteilt werden. Das benachteiligt den Geschiedenen grundsätzlich und selbst dann, wenn der neue Ehegatte sehr hohes Einkommen hat, da der Geschiedenenunterhalt durch die Kontrollrechnung nach oben beschränkt wird auf den Betrag, der vor der Wiederheirat hätte verlangt werden können.

Diese Benachteiligung ist ab sofort gekippt: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25.01.2011, 1 BvR 918/10, die Dreiteilungsmethode für verfassungswidrig erklärt. Die Rechtsprechung des BGH ersetze ungerechtfertigterweise die gesetzgeberische Grundentscheidung zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen. Das stehe dem Gericht nicht zu. Das BVerfG hat ein Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts, welches die BGH-Rechtsprechung angewendet hatte, aufgehoben und zur neuen Entscheidung zurückgewiesen. Man darf gespannt sein, was der BGH aus der neuen Rechtsprechungslage macht.


Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.01.2011
1 BvR 918/10 -

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110125_1bvr091810.html

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Freitag, 28. Januar 2011

LSG Nordrhein-Westfalen: Lotteriegewinn wird auf Hartz IV-Leistungen angerechnet


Der Lotteriegewinn eines Hartz-IV-Empfängers mindert seinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, weil der Gewinn darauf als Einkommen anzurechnen ist. Dies entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.

Der hilfebedürftige Kläger hatte in der Lotterie "Aktion Mensch" 500 Euro gewonnen. Der zuständige Leistungsträger rechnete diesen Gewinn in zwei Monaten jeweils mit 250,00 € als Einkommen an und verminderte insoweit das ALG II.

Zunächst in erster und nun auch in zweiter Instanz unterlag der Kläger. Die Richter des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen bestätigten, dass der Gewinn Einkommen ist und damit die Hilfebedürftigkeit des Klägers verringerte.


Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.02.2010, Aktenzeichen: L 19 AS 77/09


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Freitag, 21. Januar 2011

Umgangsrecht auch am Geburtstag des Kindes


Ein Vater, der nicht bei seinen Kindern lebt und ein vereinbartes regelmäßiges Umgangsrecht hat, muss auf einen turnusmäßig anstehenden Besuchskontakt mit seinem Kind nicht verzichten, weil das Kind an besagtem Tage seinen Geburtstag feiert, und die Mutter die Einladungen zu der Feier bereits verschickt hat.

Das Saarländische Oberlandesgericht hat in einem diesen Fall betreffenden Beschluss, der in dieser Woche veröffentlich worden ist, auf Antrag des Vaters gegen die Mutter ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 € festgesetzt.

Zur Begründung verwies das Saarländische Oberlandesgericht darauf, dass Umgangsvereinbarungen nur Sinn hätten, wenn sie strikt eingehalten würden. Ständige Auseinandersetzungen um die Besuchskontakte seinen zu vermeiden, weil sie dem Kindeswohl schaden würden. Daher sei es auch gerechtfertigt, durch ein Zwangsgeld deutlich zu machen, dass Verstöße gegen solche Vereinbarungen von den Gerichten nicht hingenommen würden. 

Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26.11.2010, Az. 6 WF 118/10

Donnerstag, 20. Januar 2011

Hartz IV: Sanktionen nur möglich, wenn Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung konkret, verständlich, richtig und vollständig ist

Die Eingliederungsvereinbarung soll helfen, zwischen Hilfebedürftigem und Behörde eine klare Grundlage zu schaffen, auf der die Rückführung des Hilfebedürftigen in Arbeit sowie dessen Förderung und Existenzsicherung erfolgen soll. Was geschieht allerdings, wenn dem Arbeitslosen Verletzungen der Eingliederungsvereinbarung vorzuwerfen sind. Sanktionen? Sicher, aber nur, wenn er zuvor auf Folgen hingewiesen worden ist.

Hierzu hat das Bundessozialgericht aktuell Folgendes gesagt:

„Die in § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II genannten Sanktionstatbestände setzen sämtlich voraus, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt worden ist. Der 4. Senat des BSG hat bereits entschieden, dass Rechtsfolgenbelehrungen konkret, verständlich, richtig und vollständig sein müssen. (…)
Auch der erkennende Senat schließt sich dem an. Zu fordern ist insbesondere eine konkrete Umsetzung auf den Einzelfall, sodass die Aushändigung eines Merkblatts mit abstrakt generellem Inhalt nicht ausreicht. Diese strengen Anforderungen sind insbesondere im Hinblick auf die gravierenden Folgen des § 31 Abs 1 SGB II im Bereich der existenzsichernden Leistungen zu. (…)

Schon die Gesetzesbegründung knüpft hieran an, indem sie darauf hinweist, dass die Rechtsfolgenbelehrung die Funktion haben soll, dem Hilfebedürftigen in verständlicher Form zu erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch die in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichtverletzungen haben werden. Die Belehrung soll zeitlich vor der Pflichtverletzung liegen (BT-Drucks 15/1516 S 61 (zu Abs 2)). Im Hinblick auf die Sperrzeittatbestände hat das BSG entschieden, dass die Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für ihre Wirksamkeit konkret, richtig, vollständig und verständlich sein und dem Arbeitslosen zeitnah im Zusammenhang mit einem Arbeitsangebot zutreffend erläutern muss, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann. Dabei hat das BSG den zwingenden formalen Charakter der Rechtsfolgenbelehrung betont und dies aus dem übergeordneten sozialen Schutzzweck abgeleitet, den Arbeitslosen vor den Folgen einer Pflichtverletzung (insbesondere einer sperrzeitbegründenden Arbeitsablehnung) zu warnen. Der Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung kommt im Bereich des SGB II noch eine größere Bedeutung zu als im Bereich der Arbeitsförderung. Der soziale Schutzzweck, aus dem das BSG die Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung herleitet, spielt bei existenzsichernden Sozialleistungen, wie denen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, typischerweise eine noch größere Rolle als bei den klassischen Leistungen des Arbeitsförderungsrechts.

Die der Klägerin bei Abschluss der Eingliederungsvereinbarung erteilte Rechtsfolgenbelehrung genügt diesen Anforderungen nicht. Die Rechtsfolgenbelehrung erfolgte zwar nicht lediglich mittels eines gesondert ausgehändigten Merkblatts, sondern war Bestandteil der Vereinbarung. Die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung wurden jedoch nicht hinreichend konkret aufgezeigt. Die Belehrung erschöpfte sich vielmehr im Wesentlichen in der Wiedergabe des Gesetzestextes. Damit nannte sie eine Vielzahl von Sachverhaltsvarianten, die keinen Bezug zu den konkreten Pflichten der Klägerin aufwiesen. (…)“

 Das Urteil bietet zudem eine ausführliche Wiedergabe vom Stand der Instanzrechtsprechung und Literatur zu dieser Frage.

Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2010, B 14 AS 53/08 R, soeben erst veröffentlicht.

Der Volltext ist hier zu finden:


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Montag, 17. Januar 2011

Hartz IV: Regelmäßiges Umgangsrecht rechtfertigt Umzug des Vaters in größere Wohnung

Nimmt ein Vater das Umgangsrecht mit seinem Kind regelmäßig wahr, kann dies den Umzug in eine größere Wohnung rechtfertigen.

Der Kläger ist ALG-II-Empfänger, seine elfjährige Tochter verbringt jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Schulferien mit ihm in seiner 40qm großen Wohnung. Das Jobcenter Dortmund lehnte eine Zusicherung für die Übernahme der Kosten einer 64 qm großen Wohnung ab, weil der Umzug in eine neue Unterkunft nicht notwendig sei.

Demgegenüber entschied das Sozialgericht Dortmund in einem Eilverfahren, dass der Umzug sehr wohl gerechtfertigt sei. Es handele sich bei dem Antragsteller und seiner Tochter um eine temporäre Bedarfsgemeinschaft, für die eine Wohnung von 40qm zu klein sei. Dies gelte umso mehr, als es sich um einen Vater und eine elfjährige Tochter handele, die ein zumindest kleines eigenes Zimmer benötige.

Die Eilbedürftigkeit zum Erlass der einstweiligen Anordnung begründet das Sozialgericht damit, dass die Zusicherung der Kostenübernahme auf ein konkretes Wohnungsangebot begrenzt sei und dieses nicht für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens aufrecht erhalten werde. Die streitgegenständliche größere Wohnung sei nur bis zum 31. Dezember 2010 reserviert und könne ab dem 1. Januar 2011 gemietet werden.

Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 28.12.2010, Aktenzeichen: S 22 AS 5857/10 ER

Vaterschaftsprüfung: keine VKH mit Anwaltsbeiordnung


Wenn in einem Abstammungsverfahren auf Feststellung der Vaterschaft nur zu entscheiden ist, ob der Antragsgegner der Vater der Antragstellerin ist und ob die Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit dem Antragsgegner hatte, ist diese Sach- und Rechtslage so einfach, dass im Wege der Verfahrenskostenhilfe (Prozesskostenhilfe) ein Rechtsanwalt hierzu nicht beizuordnen ist. Das einzuholende DNS-Abstammungsgutachten ist auch für Laien wegen der einfachen Fragestellung und der eindeutigen Antwort ohne Weiteres selbst zu verstehen.

Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 05.01.2011 - 11 WF 342/10

Mittwoch, 12. Januar 2011

Sorgerecht – Umgangsrecht: aktuelle Urteile zum stets heftig umstrittenen Recht

Die Eltern haben das Recht und die Pflicht, sich um ihre Kinder zu sorgen, sie zu versorgen, zu erziehen und aufzuziehen. Das ist natürlich und dürfte jedem ohne Weiteres einleuchten.

Quasi systemimmanent problematisch ist aber dieses Recht im Falle von Trennung und Scheidung. Zwar ist es seit geraumer Zeit gesetzlicher Normalfall, dass getrennte oder geschiedene Eltern das gemeinsame Sorgerecht behalten; jedoch geht mit einer Trennung sehr häufig einher, dass die gemeinsame Basis der Eltern verloren gegangen ist, was sich natürlich auch auf die Grundlage zur Erziehung der Kinder auswirkt.

Außerdem tauchen oftmals auch bei gemeinsamem Sorgerecht die alltäglichen Probleme des Umgangs auf: wie oft, wann und wo darf der Elternteil seine Kinder sehen, mit ihnen umgehen, bei dem sie nicht regelmäßig leben? Das ist konfliktgeladen und oftmals instrumentalisiert für Zwecke, die sich allein auf der Elternebene abspielen und gleichwohl den Kindern schaden.

Schließlich gibt es die Fälle, die immer wieder aktuell in der Presse veröffentlicht werden, in denen es schlimme Verfehlungen von Eltern ihren Kindern gegenüber gibt. Wie wirkt sich so etwas auf Sorgerecht und Umgang aus?

Quasi permanent fällen deutsche Familiengerichte zu allen erdenklichen Einzelfragen in diesem Bereich Beschlüsse. Einige aktuelle Beschlüsse von Obergerichten aus Dezember 2010 sollen hier exemplarisch genannt werden:


Der Entzug der elterlichen Sorge gegenüber der Mutter und Fremdunterbringung der im Haushalt der Mutter lebenden Kinder ist gerechtfertigt, wenn die Mutter sich nur eingeschränkt um die Grundversorgung ihrer Kinder kümmern kann.
Die unter Betreuung stehende Mutter war in dem zugrunde liegenden Fall außerstande, für ausreichende Nahrungsmittel im Haushalt zu sorgt, den Kindern altersangemessene Grenzen zu setzen und konnte ihr Kinder die Kinder nicht vor dem Alkoholproblem ihres Lebenspartners schützen kann. Der rechtliche Betreuer der Mutter konnte vorliegend keine durchgreifende Änderung in dieser Versorgungssituation zu bewirken.
Zwar wollten die Kinder weiterhin bei der Mutter leben; da ihr Kindeswohl aber erheblich gefährdet sei, setzte sich das Gericht über diesen Wunsch hinweg.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.12.2010 - 10 UF 176/09

Das Umgangsrecht des Vaters kann wegen Gefährdung des Kindeswohls auf Briefe und Fotos u. dgl. beschränken werden, wenn die betroffenen Kinder deshalb stark traumatisiert sind, weil sie miterleben mussten, dass und wie der Vater gewalttätig zur Mutter gewesen ist, und der unmittelbare persönliche und telefonische Kontakt zum Vater negativen Einfluss auf die seelisch-geistige Entwicklung der Kinder haben können. Das gilt bereits dann, wenn nach dem Bericht des Jugendamtes die Kinder den Kontakt zum Vater ablehnen, weil sie Angst vor ihm haben.
OLG Köln, Beschl. v. 06.12.2010 - 4 UF 183/10

Ein rückwirkender Entzug der elterlichen Sorge kommt regelmäßig nicht in Betracht. Eine Kindeswohlgefährdung, die die Entziehung des Sorgerechtes erforderlich macht und rechtfertigt, liegt vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
Damit sind Fallgestaltungen nicht denkbar, unter denen eine Maßnahme für die Vergangenheit getroffen werden kann. Insbesondere kann ein Entzug ohne Anhaltspunkte für eine künftige Kindeswohlgefährdung nicht darauf gestützt werden, dass das Kindeswohl in der Vergangenheit gefährdet war, etwa weil sich der Sorgeberechtigte geweigert hat, Hilfe zur Erziehung für eine zwischenzeitlich erledigte Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zu beantragen.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.12.2010 - 2 UF 59/10